Traditionsgeschäft ist Anlaufstelle für Gemeinden, Pfarrer und Gläubige

Warum dem "Spezialhaus für Kirchenbedarf" in Berlin das Ende droht

Veröffentlicht am 17.06.2025 um 00:01 Uhr – Von Steffen Zimmermann – Lesedauer: 

Berlin ‐ Seit fast 100 Jahren versorgt das Berliner Traditionsgeschäft "Baumann" Kirchengemeinden, Pfarrer und Gläubige mit allen Produkten, die für die Ausstattung von Kirchen, die Feier von Gottesdiensten und den persönlichen Glauben benötigt werden. Nun aber steht das Geschäft vor dem Aus. Ein Besuch.

  • Teilen:

Wenn es um das Rückgrat der deutschen Wirtschaft geht, ist häufig von "Hidden Champions" die Rede – kleinen, eher unbekannten Unternehmen, die meist inhabergeführt sind, auf eine lange Firmengeschichte zurückblicken und mit ihren Produkten zu den Marktführern in einer Nische gehören. In gewisser Weise trifft all das auch auf das Traditionsgeschäft "Baumann" im Berliner Ortsteil Wilmersdorf zu. Das 1927 gegründete "Spezialhaus für Kirchenbedarf" in der ruhigen Trautenaustraße ist eines der letzten Geschäfte seiner Art in der Bundeshauptstadt. Hier können Kirchengemeinden, Pfarrer und Gläubige all jene Produkte kaufen, die es für die Ausstattung von Kirchen, die Feier von Gottesdiensten und das persönliche Glaubensleben braucht. Quasi ein "Hidden Champion" für den Glauben.

Doch damit könnte es bald vorbei sein. Wenn Geschäftsführer Matthias Bergold bis zum Herbst keinen Nachfolger findet, muss er den Laden knapp zwei Jahre vor dessen 100. Geburtstag schließen – und zwar für immer. Der Grund: Mit 70 Jahren möchte Bergold endlich in Rente gehen. "Meine Familie drängt mich schon lange: 'Du bist seit fünf Jahren Rentner, jetzt hör' endlich auf'", erzählt er beim Besuch von katholisch.de in seinem Laden. Seinen Ausstieg aus dem Berufsleben habe er in den vergangenen Jahren immer wieder hinausgezögert. Inzwischen aber habe seine Tochter Zwillinge bekommen – "da bin ich als Opa gefordert".

Mit Ende 40 in die "Kirchenbranche" eingestiegen

Das private Glück – für Bergold geht es, das ist ihm deutlich anzumerken, mit dem Schmerz über den Abschied von seinem Geschäft einher. Seit 21 Jahren führt er das "Spezialhaus für Kirchenbedarf", in dieser langen Zeit ist es ihm merklich ans Herz gewachsen. Und das, obwohl er 2004 eher zufällig zu dem Laden kam. Nach seinem Wirtschaftsstudium hatte er zunächst viele Jahre in der Chemieindustrie gearbeitet – zuletzt als Vertriebsleiter in einem mittelständischen Betrieb. Während einer beruflichen Auszeit machte ihn dann ein Freund darauf aufmerksam, dass der damalige "Baumann"-Inhaber das Geschäft verkaufen wollte. "Ich hatte bis dahin gar nicht gewusst, dass es solche Läden überhaupt gibt", erzählt er. Und doch entschloss er sich, das Geschäft zu übernehmen und weiterzuführen – zunächst gemeinsam mit dem Freund, ab 2007 dann allein. Dass er mit Ende 40 beruflich noch einmal ganz neu angefangen hat und in die "Kirchenbranche" eingestiegen ist, hat er nie bereut. "Es ist ein interessanter Beruf, jeder Tag ist anders. Der Kontakt mit den Kunden macht Spaß und man kann viel selbst gestalten", erzählt er.

Bild: ©katholisch.de/cph

Matthias Bergold übernahm das Geschöft 2004. Jetzt, mit 70 Jahren, geht er in Rente.

Beispielhaft führt Bergold zu den Messgewändern, die sorgsam aufgereiht und nach liturgischen Farben sortiert in einem Regal in einem der beiden hinteren Verkaufsräume hängen. "Wir haben natürlich immer einen gewissen Bestand an Standard-Messgewändern vorrätig", erläutert der Geschäftsführer. Die Kunden – in diesem Fall katholische Priester – könnten sich aber auch jederzeit individuelle Gewänder gestalten lassen. "Wir arbeiten mit erfahrenen Webern zusammen, die fast alle Wünsche erfüllen können. Den Kunden bei der Gestaltung seines Messgewandes zu beraten und zu begleiten – das macht einfach Freude", so Bergold.

Den Moment bei den Messgewändern nutzt der 70-Jährige, um gleich noch auf ein anderes Spezifikum seines Geschäfts aufmerksam zu machen. "Anders als andere Geschäfte in unserer Branche sind wir durch und durch ökumenisch aufgestellt", sagt Bergold und zeigt auf die direkt neben den bunten katholischen Messgewändern hängenden schwarzen Talare für evangelische Pfarrerinnen und Pfarrer. "Ansonsten könnte ein Geschäft wie das unsere hier gar nicht überleben. In Berlin und auch in Brandenburg ist die evangelische Kirche zahlenmäßig schließlich viel größer als die katholische Kirche", betont der Geschäftsführer.

"Kaum eine Gemeinde, in der nicht ein Stück 'Baumann' drin ist"

Neben evangelischen und katholischen Geistlichen gehören vor allem Kirchengemeinden beider Konfessionen zu Bergolds Kunden. "Ich denke, es gibt in Berlin kaum eine Kirche, in der nicht ein Stück 'Baumann' drin ist", sagt er mit einem Lächeln und nennt beispielhaft die frisch sanierte Hedwigs-Kathedrale, für die sein Laden die Ölgefäße geliefert habe. Der Grund für die breite Präsenz von "Baumann"-Produkten in den Berliner Gotteshäusern liegt wohl auch darin, dass Bergolds Laden gewissermaßen ein liturgisches Komplettpaket anbietet. "Ob Hostien, Kerzen, Kreuze, liturgische Geräte – wir haben eigentlich alles im Angebot, was im kirchlichen Alltag benötigt wird." Und wenn doch einmal ein Produkt fehle, könne er es über ein breites Netzwerk an Handwerkern und Fachbetrieben in der Regel schnell beschaffen.

„Wenn mich am Karsamstag eine Gemeinde anruft, weil ihre Osterkerze runtergefallen und zerbrochen ist, dann besorge ich – wenn es irgendwie passt – rechtzeitig bis zum Ostersonntag eine Neue.“

—  Zitat: Matthias Bergold über seine Geschäftsphilosophie

Dass es mit diesem Service in Berlin bald vorbei sein könnte, wollten viele seiner Kunden bislang noch nicht wahrhaben, berichtet Bergold: "Die sind richtig entsetzt. 'Das geht gar nicht, Sie können nicht aufhören' – das ist eine typische Reaktion, die ich in den vergangenen Wochen mehrfach zu hören bekommen habe." Das liege vermutlich auch daran, dass er seine Kunden in all den Jahren durchaus verwöhnt habe. "Wenn mich am Karsamstag eine Gemeinde anruft, weil ihre Osterkerze runtergefallen und zerbrochen ist, dann besorge ich – wenn es irgendwie passt – rechtzeitig bis zum Ostersonntag eine Neue", beschreibt er seine Geschäftsphilosophie.

Mit seinem Einsatz und seinen Produkten hat Bergold in den vergangenen zwei Jahrzehnten auf seine Weise dazu beigetragen, das Christentum in Berlin lebendig zu halten. Das ist durchaus bemerkenswert, denn Bergold selbst ist laut eigenen Worten kein frommer Mann. "DDR eben", erklärt er lakonisch mit Blick auf seine Wurzeln im sächsischen Radeberg und die ersten Lebensjahrzehnte im kirchenfeindlichen Arbeiter-und-Bauern-Staat. Kirchlich sozialisiert worden sei er nur insofern, als sein kunstinteressierter Vater ihn bei Urlaubsreisen von klein auf in jede Kirche mitgenommen und ihm dort alles gezeigt und erklärt habe.

Noch will Bergold die Hoffnung nicht aufgeben

Als er 2004 das "Spezialhaus für Kirchenbedarf" übernahm, habe er bei Kundengesprächen auf dieses vom Vater erlernte Wissen zurückgreifen können. "Der Rest war Learning by Doing", erzählt Bergold. Geholfen habe ihm, dass damals noch eine erfahrene Mitarbeiterin im Geschäft gearbeitet und ihn unterstützt habe. Mit den Jahren ist Bergold aber selbst zum Profi geworden, der seine Kunden zum Beispiel fachkundig über die besonderen Vorteile bestimmter Alben, Kaseln oder Rochetts informieren kann.

Noch hat Bergold die Hoffnung nicht aufgegeben, dass auch er sein Wissen und das Geschäft an einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin übergeben kann: "Ich habe meinen Vermieter gebeten, die Anzeige zur Suche eines Nachmieters für die Geschäftsräume noch nicht zu veröffentlichen. Vielleicht ergibt sich ja doch noch etwas." Zurzeit gebe es allerdings keinen Interessenten. "Ich habe schon ein paar Gespräche geführt, aber irgendwie hat es bislang nicht gepasst." Vor einigen Wochen habe jemand aus einer katholischen Gemeinde angerufen und vorsichtiges Interesse an einer Übernahme angemeldet. "Das wäre toll gewesen, weil diese Person natürlich ein Grundwissen über das Christentum und damit auch über unsere Produkte mitgebracht hätte." Am Ende wurde daraus aber nichts.

Bild: ©katholisch.de/cph

Blick in den Verkaufsraum des "Spezialhauses für Kirchenbedarf" in Berlin-Wilmersdorf.

Den Besuch von katholisch.de nutzt Bergold deshalb auch, um ein bisschen Werbung in eigener Sache zu machen: "Die Tätigkeit hier im Geschäft kann einen wirklich erfüllen, und sie ist durchaus mit Annehmlichkeiten verbunden." Die liebevoll gestalteten Holzkrippen, die er in seinem Geschäft zum Kauf anbietet, stammten zum Beispiel alle aus Südtirol. "Die habe ich dort immer persönlich abgeholt und die Reise dahin meist mit einem kleinen Urlaub verbunden."

In der Ladenkasse ist die Kirchenkrise nicht zu spüren

Auch finanziell laufe der Laden gut. "Man wird zwar kein Millionär, aber zum Leben reicht es", sagt er mit einem Schmunzeln. Zumal er die nun schon seit Jahren andauernde Krise der beiden großen Kirchen in Deutschland in seinem Laden nicht spüre. "Der Umsatz hat sich in den vergangenen Jahren weitgehend auf einem gleichbleibenden Niveau bewegt", betont er. Das liege sicher auch daran, dass die Zahl der aktiv genutzten Kirchengebäude trotz vieler neu entstandener Großgemeinden bislang kaum gesunken sei. "Es werden weiterhin viele Hostien und Kerzen benötigt." Wachsenden Anteil am Umsatz habe zudem die Laufkundschaft, die häufig über das jahreszeitlich gestaltete Schaufenster in den Laden komme. Privatkunden kauften bei ihm vor allem Gesangbücher, Geschenke für Taufe und Erstkommunion und zur Weihnachtszeit die beliebten Herrnhuter Sterne.

In den Sternen steht bis auf Weiteres auch die Zukunft des "Spezialhauses für Kirchenbedarf". Ob es doch noch eine Zukunft für das Traditionsgeschäft gibt, wird sich in den kommenden Wochen zeigen. Bergold sagt dazu, dass er in all den Jahren in seinem Laden trotz seiner DDR-Vergangenheit durchaus Gottvertrauen gelernt habe. "Es gab immer wieder Momente, in denen ich mir gedacht habe, dass da jemand ist, der auf mich aufpasst." Darauf setze er auch jetzt bei der Suche nach einem Nachfolger.

Von Steffen Zimmermann